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„[…] 3. Jeder echte Künstler ist zur Umänderung seiner Umwelt geboren. 4.
Preise, Stipendien, gute Kritiken, alles wirft man uns nach; aber eins ist sicher:
brauchen kann man uns nicht . 5. Unbrauchbarkeit ist unser höchstes Ziel: Gaudi
ist unpopuläre Volkskunst. 6. Die ganze Welt ist der Bereich, in dem sich der
schöpferische Impuls , der allein der Gaudi vorbehalten ist, entfalten kann. 7.
Alles, was anwendbar ist, i st nicht für den Menschen . Ohne den Künstler gäbe
es jetzt schon keinen Menschen mehr. […]“
Dieser Auszug aus dem insgesamt 20 Punkte umfassenden, so genannte
„Gaudi-Manifest “ vom Januar 1961 der Künstlergruppe SPUR , liest sich
heute mit einigem Befremden. Nicht wegen der Inhalte, sondern vor
allem aufgrund der Tatsache, dass sich junge Künstler gemeinsam und mit
Programmen auf die Straß e wagten und ihre Positionen laut skandierten.
Heute ist es leise geworden um des Bildenden Künstlers Stimme, nur wenige
treten ver bal attackierend auf, und wenn, dann nicht im Kollektiv.
Wir sprechen häufig von einer Spaßkultur und meinen dabei nicht die Kunst,
sondern unsere hedonistisch geprägte Gesellschaft , die das subjektive
Glücksgefühl in den Mittelpunkt stellt und das Gemeinwohl dabei gerne
vernachl ässigt. Doch zum Glück gibt es Männer wie T itus Koch , der uns mit
seinem über Jahre hinweg reich enden und erfolgreichen Engagement für
die E xperimentelle zeigt , dass Kunst auch Spaß machen kann, ja dass die
Arbeit mit Kunst und das Zusammensein mit Kunstschaffenden sogar Spaß
machen muss, weil ein Leben mit Kunst werken immer ein Leben ist, das in
die Tiefe geht.
Der Mehr wer t eines Lebens mit Kunst ist nicht in Zahlen zu bemessen,
wenngleich der Hype um mehrstellige Millionenbeträge, die inzwischen für
vereinzelte Kunstwerke bezahlt werden, regelmäßig Schock wellen auslöst
und die Kunst als Investment so immer attraktiver macht.
Im Folgenden werden sechs künstlerische Positionen vorgestellt, die nur
eine kleine Auswahl aus dem großen Feld der Kunst und der an vielen
Orten stattfindenden E xper imentelle 2016 darstellen. E xempl arische
Betrachtungen verstehen sich immer als Impulsgeber. Wenn jedoch ein
vom Kunstwerk ausgehender Impuls zu neuen Gedanken, Dialogen und
vielleicht zu einem gemeinsamem Staunen und Lachen führt , dann ist viel
erreicht in einer Welt, die sic h zunehmend absch ottet , weil das „Andere“ an Bedeutung zunimmt.
Vielleicht sind wir uns sogar einig, dass man sie [die Künstler] doch brauchen
könne, was vor 55 Jahren im Punkt 4 des SPUR-Manifestes noch infrage
gestellt wurde. Und über die Brauchbarkeit von Kunst lässt sich trefflich
streiten, wobei wir wieder am Ausgangspunkt angekommen wären.
Helmut Sturm
Der 2008 verstorbene Maler war zeitlebens Vertreter einer Kunst, die
nicht dem Perfektionismus verpflichtet war, sondern die – ausgehend
von ihrer subjektiven Ausdrucksform – im besten Fall individuelle
Assoziationen in uns Betrachtern auslösen sollte. Der aus der Oberpfalz
stammende Künstler war ein engagierter Mitbegründer zahlreicher Foren
und Künstlergemeinschaften, in denen er sich und seinen Mitstreitern
mitnichten den Weg in die White Cubes der etablierten Kunstszene ebnete,
sondern künstlerisch auf gesellschaftliche Prozesse reagierte und dabei
keine Hürden scheute, um für die Freiheit der Kunst einzutreten.
„Kunst muss aber gar nichts, außer bildnerisch so gut wie möglich zu sein“,
sagte er 2006 im Interview mit Jo-Anne Birnie Danzker. Helmut Sturms
bildnerische Malerei ist extrem autonom und ehrlich. In seinen Bildebenen
schiebt und zieht er unsere Aufmerksamkeit hin und her, es scheint, als
wehrten sich seine Formate somit gegen flüchtige Blicke und oberflächliche
Vereinnahmungen. Vielmehr wirken die Faktur von Sturms Arbeiten und
insbesondere sein malerischer Duktus wie Schutzschilde, um diese Bilder
vor einer falschen Lesart zu bewahren. Wer sich auf Sturms Bildwelten
einlässt, braucht Zeit und muss sich stets inneren Fragen (das sind immer
die eigenen) stellen, denn diese Bilder lösen mehr Fragen aus, als dass sie
Antworten liefern. Der SPUR-Kollege Lothar Fischer sagte über Helmut
Sturm rückblickend einmal, dieser sei ein Utopist mit einem großen Fernziel.
Auch wenn Sturm keine verbindliche Antwort auf diese Charakterisierung
liefern wollte, wird doch klar, dass die Einschätzung seines Kollegen im
Kern der Wahrheit entsprach. Denn Sturms Malerei, die im Prozess ihrer
Entstehung jede Beliebigkeit ausklammert, tritt als Botschafterin eines
gesellschaftlich relevanten Systems auf, welches auf Farbe und Form basiert
und die Suche nach einer idealen Wirklichkeit niemals aus den Augen
verliert. Trotz oder vielleicht aufgrund dieser „Suche nach der idealen
Wirklichkeit“ hat Helmut Sturm ein bildnerisches Werk hinterlassen, das
zu den bedeutendsten Zeugnissen der abstrakt-expressiven Malerei in
Deutschland nach 1945 gehört. Seine Bilder entstanden für Sturm aus
Formkernen heraus, deren Energiereserven sich während des Malens
dynamisch ausdehnen und in neuen Kompositionen, Schichtungen und Rhythmen ‚austoben‘ sollten, um im Ergebnis das zu erreichen, was dem
Maler am Herzen lag, nämlich ein mit optischer Energie versehenes neues
Kraftfeld zu generieren.
Franz Hitzler
Alle Kenner des Werks des 1946 bei Regensburg geborenen Malers Hitzler
sind sich einig, dass man bei diesem Künstler vom Leben auf das Werk
schließen darf. Seine Kindheit und Jugend, in der er zunehmend zum
„Prügelknabe“ abgestempelt wurde, bilden bis heute die Wurzeln seiner
Malerei.
Hitzler floh als 15 Jähriger aus der bayerischen Enge nach Amsterdam,
um dort die Werke Rembrandts zu bestaunen. Die Begegnung mit den
Gemälden des großen Niederländers hinterließ nachhaltige Spuren im
Leben und Werk des jungen Mannes und führte vor allem dazu, dass Hitzler
im Jahr darauf das Studium der Malerei begann.
In Rembrandts um 1635 entstandenem Gemälde „Das Gastmahl des
Belsazar“ erscheint dem babylonischen König Belsazar, der während der
Belagerung Babylons durch die Perser ein üppiges Gastmahl ausrichtet,
plötzlich eine geheimnisvolle Hand, die einen Text an die Wand schreibt,
den nur der jüdische Prophet Daniel entziffern kann. Zu diesem Text „mene
mene tekel u-parsin“ lesen wir in der Bibel die Deutung des Propheten.
„MENE: Gezählt hat Gott die Tage deiner Herrschaft und macht ihr ein Ende.
Tekel: Gewogen wurdest du auf der Waage und zu leicht befunden. (Dan. 5).“
Das erstarrte Gesicht des Königs auf Rembrandts Bild zeigt, dass dieser den
Text bereits als warnendes Vorzeichen des Untergangs verstanden hat.
Menetekel lautet der Titel des abgebildeten Bildes von Franz Hitzler,
ein von der Farbe Rot dominiertes Hochformat, in dessen Bildmitte ein
gelbes, kreuz-oder-x-förmiges Schriftzeichen im Bildvordergrund zu
schweben scheint und seitlich je eine menschliche Figur zeigt, die in den
Bildhintergrund versetzt ist. Die im Bild angelegte Spannung ist physisch
spürbar, denn – obwohl zunächst ahnungslos – neigen wir spontan dazu,
unseren Abstand zum Bild zu vergrößern, um uns dessen Bann zu entziehen.
Warnung und Faszination zugleich sind es, die nicht nur das Wesen dieser
Arbeit Hitzlers bestimmen. Vielmehr geht es in seinem gesamten Werk um
existenzielle Erfahrungen, die sich in unser subjektives Empfinden eingraben
und suggestiv auf unsere Wahrnehmungsebenen Einfluss nehmen, ohne
dass wir uns dessen rational bewusst werden.
Anlässlich der Verleihung des Friedrich Baur-Preises der Bayerischen
Akademie der Schönen Künste im Jahr 2009 formulierte Franz Hitzler u.a.
folgende Worte: „Die Malerei ist eine in die Zukunft geöffnete Tat. Sie hat
den erlösten Raum. Sie hat den Jubel des Seins im Werden. Das Tote will
nicht sterben und das Lebendige will erlöst sein im Unnennbaren. Wir tragen
den Schatten des Dämons und offenbaren uns im Ringen um Erkenntnis. Wir sind im Werden, und keiner weiß um den Tag, an dem wir sind.“ (Franz
Hitzler: Farbe ist mein Leben, Prestel-Verlag, 2009, S. 123)
Hitzlers Kunst ist eine Malerei der archetypischen Formen und der
dämonenhaften Wesen. Die kraftvoll eingesetzte Farbe entlässt seine
Figuren in den Bildraum, während die Konturen als haltgebende Elemente
im Bild fungieren. In Hitzlers Welt folgt alles einem übergeordneten
Zusammenhang, was zur Folge hat, dass es keine Statik und keine
Abbildhaftigkeit in seinem Werk gibt, sondern stattdessen einen stetigen
Prozess der Transformation, der seinen Bildern eine Lebendigkeit schenkt,
die nur teilweise in unserer realen Wirklichkeit zu verorten ist. Mit der
Erkenntnis „Unmöglich, diesen Bildern indifferent zu begegnen.“(Franz
Hitzler: Gemälde und Radierungen, Prestel-Verlag 1994, S. 9-11) fand der
Autor Kurt Schäfer den idealen Titel für seinen Beitrag über seinen Freund
und genialen Maler Franz Hitzler.
Gabi Streile
Gegen den Willen des Vaters hat die gebürtige Karlsruherin beschlosen,
an der Akademie ihrer Heimatstadt Kunst zu studieren. Während der
Akademiezeit beschäftigte sie sich intensiv mit dem Thema Portrait und
Selbstportrait. Erst während eines halbjährigen Toskana-Aufenthaltes
tauchten erste Natur- und Stillleben-Motive in ihrem malerischen Werk auf.
Als eine Vertreterin der „Badischen Figuration“ der ersten Stunde zählt sie
heute zu jenen Künstlerinnen und Künstlern, die an die Kraft des Motivs
glauben und die diese Kraft des Motivs in eine dialektische Spannung im Bild
umsetzen.
„NATURA DUCE OPTIME VIVITUR“ (mit der Natur als Führer lebt man am
besten) betitelte Gabi Streile eine Ausstellung im Jahr 1998. Ihre Bilder
liefern uns in erster Linie eine Schule des intensiven Sehens. Und ausgehend
vom Sehen, lösen wir uns bei längerer Betrachtung schrittweise vom Motiv
und öffnen uns für die Tiefe im Bild.
Streile scheute lange Zeit die starre Leinwand und bevorzugte z.B.
Packpapier als Bildträger. Doch inzwischen habe sie auch die Leinwand
„gezähmt“, kam ihr im Gespräch über die Lippen, allein das Weiß ertrage
sie nach wie vor schwer, weswegen viele Bilder farbige Grundierungen
aufweisen. Manches ihrer Ölgemälde wirkt fast wie ein Aquarell. Doch dieser
erste Schein trügt, denn es geht dieser Malerin nicht um die Flüchtigkeit des
Augenblicks, den sie mit dem Pinsel bannt, sondern ihre Landschafts- und
Blumenbilder erzählen von Zeit und Raum. Jede Farbschicht im Bild hat
daher ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit, und jede Schicht bleibt so
auch für uns Betrachter sichtbar.
Wer dem Charakter einer Landschaft, einer Blume oder eines Menschen auf
den Grund geht und diesen als Musiker, Maler oder Dichter zu formulieren
versucht, der erstellt Portraits. Und in der Tat ist Gabi Streile eine Natur-Porträtistin. Ein gutes Personenportrait spürt dem menschlichen Wesen
nach und zeigt uns Betrachtern ein Gegenüber, mit dem wir in einen
Dialog treten wollen. Ein gutes Landschaftsportrait spürt dem Wesen
der Natur nach und lädt uns ein, diese Landschaft betreten zu wollen, um
das prägende Verhältnis von Topographie und Zeit am eigenen Körper zu erfahren.
Um gegen die drohende Statik im Bild zu opponieren, braucht Gabi Streile
den gestischen Pinselstrich und die tropfende Farbe im Bild. Sie setzt
diese malerischen Mittel ein, um dem Motiv einen möglichst freien Raum
im Bild zu ermöglichen, welcher, auf den Betrachter übersetzt, wiederum
Freiräume in unseren Köpfen generieren soll. Viele ihrer Bilder öffnen sich
zu den Rändern hin und führen über den Bildrand hinaus in einen imaginären
Bildraum. Gabi Streile weiß um die Beschränktheit der Mittel der Malerei,
sie kennt die Maße ihrer Leinwände und lotet diese aus. Bei der Formatwahl
bevorzugt sie die Größe, bei der sie selbst im Bild spazieren gehen kann.
Immer wieder arbeitet sie auch in Diptychen oder Triptychen, um ein Motiv
über mehrere Bildtafeln ausdehnen zu können und der Malerei dadurch
mehr Raum einzugestehen.
Hans Schnell
Hans Schnells als „Natura Morte“ betiteltes Motiv (Abbildung) führt
die Malerei heraus aus dem Rahmen und greift als Holzobjekt in den
Raum ein. Das Werk des Dahmen-Schülers Hans Schnell erregte früh die
Aufmerksamkeit der Kunstkritik, denn dem genialen Zeichner Schnell
genügt selten der Strich alleine, sondern er mischt und akkumuliert
Techniken, die seinen Bildern eine haptische Schönheit verleihen. Schnell
gestikuliert als Zeichner, er formt als Maler und er begreift seine Kunst als
das Territorium eines Forschers, der – einem Archäologen ähnlich – Spuren
sucht und Spuren hinterlässt. Als ein dem Informel verpflichteter Maler
nimmt für Schnell das handwerkliche Tun eine zentrale Rolle im Bildprozess
ein, während er formale Zwänge oder hierarchische Ordnungen bewusst ablehnt.
Was ist es, wenn ein Holzkrokodil mit geöffnetem Maul ein monochrom
angelegtes rotes Ölbild besetzt? Würgt das Tier die Farbe heraus oder steht
die Farbe für das dem Krokodil zum Opfer gefallene Tier? Oder war es gar
ein Mensch? Obwohl kleinformatig, stellt diese Arbeit doch große, um nicht
zu sagen, existenzielle Fragen an uns. Zunächst wirkt die Bildszene fast
verspielt, doch bei näherer Betrachtung erkennen wir auch rote Farbspuren
auf dem Krokodil, als habe ein Kampf stattgefunden. Vielleicht auch der
Kampf des Malers mit dem Bildhauer, also ein innerer Paragone, der im
Herzen dieses vielseitigen Künstlers die einzelnen Prioritäten auslotet und
miteinander in Beziehung setzt.
Stets basierend auf einer präzise gewählten materiellen Grundlage,
fokussiert Hans Schnell in seinen Arbeiten den Kern eines Gedankens oder skizziert die Basis einer Handlung, bei der die innere Befindlichkeit und die
äußere Zustandsbeschreibung alternierend an die Oberfläche treten.
Die Werke des gebürtigen Müncheners wirken zwar zumeist chiffrenhaft
und spontan, aber in Wahrheit sind seine Farbspuren, Zeichen und
Strichfolgen mit hoher Konzentration gesetzte Affirmationen. Ein
wesentlicher Faktor dieser Werke ist der Freiraum im Bild, dem Schnell eine
große Bedeutung beimisst. Der Künstler trotzt dem horror vacui, indem
er seine Bildräume bewusst öffnet und kompositorische Kraftfelder in
seine Bildbühnen setzt, die keinen alternativen Standort im Bild zulassen.
Vielleicht ist es „Ein Gefühl der Unausweichlichkeit“, so der Titel einer Arbeit
aus dem Jahr 2002, das Hans Schnell zum Tun anregt, und seiner Kunst einen
Stellenwert gibt, der weit über die ästhetische Wahrnehmung hinausreicht.
Marc Felten
Gelb und schrill sind die ersten Assoziationen, die einem im Zusammenhang
mit dem Werk des Straßburger Künstlers Marc Felten in den Sinn kommen.
Wer sich auf seine Homepage klickt, mag sich bestätigt fühlen, denn man
hört zunächst coole Beats, bevor man Feltens Bildergalerie anklicken kann.
Und wer einen Text sucht, muss durch einen gelben „Kasten“ scrollen.
Im Mittelpunkt von Marc Feltens Werk steht der menschliche Körper, den
der Künstler als Material einsetzt in alle erdenklichen Posen zwingt und
motivisch im Kunstwerk präsentiert. In den letzten Jahren entwickelte er
eine Bahn brechende Collage-Technik, die uns stilistisch als Neo-Pop-Kunst
fasziniert. Indem Felten gerne die Posen seiner Bildprotagonisten überreizt
und zum Beispiel aus Tier-, Mensch- und Möbel-Collagen neue Objekte
formt, entführt er uns in die Welt der fabelhaften Wirklichkeit. Undefiniert
bleiben dabei seine Räume, die meist aus monochromen Farbflächen
bestehen und somit den Bildern jeglichen Bezug zur Realität entziehen.
Setzt man Feltens Kunst in Zusammenhang mit dem Phänomen der
Phantasmagorie, so kommt man ihrem Wesen bedeutend näher.
Phantasmagorie bezeichnet wörtlich die Darstellung von Trugbildern oder
phantastischen Bildern auf der Bühne.
Berühmt sind vor allem die als Geisterdarstellungen bezeichneten
Phantasmagorien der Laterna magica-Vorführungen, die vom 17. bis ins
20. Jahrhundert hinein in ganz Europa verbreitet waren und vor allem im
19. Jahrhundert ein Massenpublikum erreichten. Ihre Blütezeit hatten die
Phantasmagorien im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Aufgrund der
Wirkung dieser Projektionen war die Laterna magica auch unter dem Namen
„Schreckenslaterne“ bekannt.
Auch Felten spielt mit dem Szenario des Schreckens, wenn er Skelette,
geöffnete Torsi, oder schmerzverzerrte Münder in seine Bild-Collagen setzt. Technisch überaus versiert, überlässt es der Künstler übrigens uns
Betrachtern, abzuwägen, an welchen Stellen im Bild sich gedruckte Medien
und klassische Malerei trennen bzw. verbinden. Felten geht es um das
große Ganze und um die große Bühne einer Kunst, die sich im diametralen
Gegensatz zum banalen Alltag positioniert. Seine Bilder bieten Fluchtwege
heraus aus der vermeintlichen Realität und führen uns in eine neu figurierte
Handlungs-Ebene, in der sich seine Helden und Hauptdarsteller extrem
selbstbewusst und Kraft strotzend präsentieren.
In einer seiner Arbeiten sitzt auf dem Rücken eines Stiers ein roter Button
mit gelber Aufschrift „Play“. Diese Aufforderung, ein Spiel zu beginnen,
ist vermutlich der beste Einstieg in das Werk dieses in seiner Arbeit
hintersinnig und skurril wirkenden Künstlers, der es versteht, mit analogen
Darstellungen der digitalen Verführung Paroli zu bieten.
Ute Klein
Man möchte tauchen oder schweben, keinesfalls gehen oder stehen, wenn
man Ute Kleins Bilder betrachtet. Die Werke dieser Schweizer Künstlerin
wirken selbst in großen Formaten ephemer und zart, vielschichtig
und dünnhäutig. Der Dialog Bewegung und Form ist nicht nur ein
Kernthema im Werk Ute Kleins, sondern auch ein wichtiges physikalisches
Forschungsthema, was die beiden Naturwissenschaftler Holzner und
Kinzelbach in Kleins Katalogbuch: Fluss (2014) in ihrem Artikel „Zur Dynamik
und Formbildung von Flüssigkeitsfilmen“ eingehend betrachten.
Die Malerei von Ute Klein ist eine Kunst der Phänomene, inspiriert durch
die organischen Formen der Natur und geleitet vom Akt des Fließens. Seit
2005 beschäftigt sich die Malerin mit dem Fluss der Farbe. Kaum hat sie
die Ölfarbe aufs Papier oder die Leinwand gekippt, beginnt der Prozess
der Bildentstehung, indem die Malerin sich selbst und ihren Bildträger in
Bewegung setzt und sich fortan in eine Phase des Wartens und Handelns
begibt. Eine solche Vorgehensweise erfordert höchste Konzentration und
hohe Fachkompetenz, denn Korrekturen sind nicht möglich.
Der Vorteil der klassischen Ölmalerei ist es, dass diese Technik den
Aufbau eines Bildes in zahlreichen Schichten ermöglicht. Ute Klein
jedoch konterkariert diese Tradition, indem sie in Öl „aquarelliert“, dabei
auf den Pinsel verzichtet und folglich die Entstehung ihrer Bilder ganz
der Geste unterordnet. Diese gestisch-meditative Grundhaltung zeugt
von einer starken Körperwahrnehmung dieser Künstlerin. Die auf diese
Weise entstehenden, fließenden Formgebilde sind somit Resultate eines
Prozesses, der mentale Offenheit und absolute Vertrautheit mit dem
Medium erfordert. Kleins Bilder erscheinen als verdichtete Substrate einer
neuen Formensprache. Vergleicht man sie mit der Sprache, so erinnern
sie an lyrische Fragmente ohne Reimschema. Nicht das Ergebnis steht im
Mittelpunkt dieser Malerin, sondern die Bildfindung. Ute Klein hat sich vor
über zehn Jahren auf eine künstlerische Reise begeben, deren Ziel vor allem
der Weg ist.
Bei längerer Betrachtung wirken Kleins Kunstwerke wie Gedanken
verlorene Antidots in einer rational bestimmten Welt, die sich
mehrheitlich dem Multitasking und dem Geschwindigkeitsrausch
verschrieben hat. Wollen wir tatsächlich immer höher, weiter, schneller
… in einer Welt der Superlative leben oder ist es nicht gerade die
philosophische Tiefe, die ein gutes Leben ausmacht.
Erst wenn unser Atem nicht stockt, sondern zu fließen beginnt, ist die
physische Voraussetzung gegeben, unseren persönlichen „Flow“ zu
erfahren und dadurch Körper und Geist in Einklang zu bekommen.
Die besondere Intensität, die wir bei Betrachtung dieser Kunst erfahren,
ist – ergänzend zu aller formalen Freiheit in den Bildern – jenem Hauch
von Sinnlichkeit zu verdanken, der dieser Malerei innewohnt. Wollte man
diese besondere Mischung aus Fluss, Freiheit, Bewegung und Sinnlichkeit
in einem Wort zusammenfassen, so bliebe nur das eine übrig: Schönheit.
.......
Am Anfang aller Kunst steht immer ein Idee, ein Gedanke. Oft vergessen
wir, wenn wir in wenigen Minuten eine Ausstellung durchstreifen,
welche großen geistigen Prozesse sich hinter dem verbergen, was
wir als „Ergebnisse“ an der Wand hängen oder im Raum stehen
sehen. Ob Kunst schön oder hässlich, gesellschaftspolitisch relevant,
autobiographisch geprägt, provokativ oder aufklärerisch auftritt, ist sehr
stark kontextabhängig. Ein Kunstwerk in der Galerie wirkt vollkommen
anders als dasselbe Kunstwerk in unseren eigenen vier Wänden oder am
Arbeitsplatz. Nur, wer den Versuch unternimmt, mit Kunst zu leben, weiß
um die Kraft der Kunst als Quelle des Lebens.
Die verschiedenen Ausstellungsorte der Experimentelle und
das Aufeinandertreffen von stilistisch sehr unterschiedlichen
Kunstwerken schafft eine einmalige Gemengelage, in der die Kunst
immer im Mittelpunkt des Geschehens steht. Uns wird im Rahmen
der Experimentellen die Chance geboten, regionale, nationale und
internationale Dialoge zu führen und dabei grenzüberschreitend zu
denken und zu handeln.
Ein entscheidendes Kriterium für die Qualität guter Kunst ist es,
wenn das Kunstwerk eine subjektive Aussage formuliert. Denn wo
Beliebigkeit herrscht, ist kein Platz für echte Kunst. In der vorstehenden
exemplarischen Besprechung von nur sechs künstlerischen Positionen
sollte insbesondere dargelegt werden, wie essentiell die Kunst für unser
Leben ist. Ob inhaltlich der Ernst oder der Spaß überwiegen, entscheidet
nicht das Kunstwerk allein, sondern entscheidend hierfür sind wir, als
individuelle Betrachter, im partizipativen Dialog mit der Kunst!
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