Ohne Furcht vor Malerei

von
Dr. Markus Stegmann
 
      
Während der letzten Jahre erlebte die Malerei eine neue, von Vielen unerwartete Renaissance, nachdem sich in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Neuen Medien, Fotografie und Videokunst richtete. Nicht, dass aufgehört worden sei zu malen oder die Malerei ein Ende gefunden hätte, wie vielfach behauptet, nein, zahlreiche Kunstschaffende hielten an diesem Medium fest, weil es ihrem innersten Ausdrucksbedürfnis entsprach, auch wenn sich der öffentliche Fokus markant verschoben hatte. Nach der emotionsbetonten, chiffrenhaften und teilweise sarkastisch-ironischen Malerei der achtziger Jahre, die in ganz Europa und in den USA ihre durchaus unterschiedlichen Ausprägungen fand, lief sich der rauschhafte, gestische Selbstausdruck spätestens Ende der achtziger Jahre tot. Distanz und Sachlichkeit, Kühle und Entfernung waren die Stichworte um 1990 und fanden vor allem in der Fotografie ihre Wirkungsorte. Interessant an diesem Stimmungs- und Medienwechsel ist die Tatsache, dass die Fotografie der neunziger Jahre sowohl das grosse Format als auch die Buntfarbigkeit der Malerei verwendete. Sogar spezifisch malerische Elemente wie beispielsweise ein gewisser Abstraktionsgrad erreichte die Fotografie mühelos durch gezielt eingesetzte Unschärfe. Treffend wurde diese Form der Fotografie als „Malerei mit anderen Mitteln“ bezeichnet. Seit den frühen neunziger Jahren hat sich die Fotografie auch im internationalen Kunstmarkt etabliert und erreicht mittlerweile dieselben Preisregionen wie Malerei. Während der letzten Jahre tritt jedoch vor allem in Deutschland eine neue, junge Künstlergeneration in Erscheinung, die sich in kritischer Distanz zu den Neuen Medien erneut der Malerei zuwendet. Zwar sind ihre Bilder ebenfalls überwiegend gegenständlich, doch im Unterschied zur hitzigen Malerei der achtziger Jahre ist in den Werken eine sachlich-kühle Distanz zu den Figuren festzustellen und ein mehr oder weniger explizites Interesse für die Vergangenheit. Die Erfahrung und Auseinandersetzung mit Fotografie und den (Neuen) Medien ist diesen Bildern nicht nur anzusehen, sondern machen sie überhaupt erst möglich: Viele der Werke entstehen direkt nach gefundenen oder neu aufgenommenen Fotos.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen stellt sich einmal mehr die Frage nach den Möglichkeiten der Malerei, ein gegenwärtiges Lebensgefühl über den Tag, über den modischen Zeitgeist hinaus in eine Form zu transformieren, die auch noch in einigen Jahren als lebendig und authentisch wahrgenommen werden kann. Das 20. Jahrhundert war zumindest bis in die sechziger Jahre hinein geprägt von einem Feuerwerk an künstlerischen Revolutionen. Insbesondere und gerade die Malerei erfuhr eine Differenzierung ihrer Mittel und Inhalte in nicht für möglich gehaltenem Ausmass. Die Frage nach dem Potential des Malerischen in unserer Zeit stellt sich daher mit dem Vorzeichen, ob heute überhaupt noch zeitgemässe Formen zu finden sind. Der Blick auf aktuelle Malerei zeigt jedoch schnell, dass es den Kunstschaffenden immer wieder gelingt, neue Varianten und Ansätze zu entdecken und auszuloten, auch und gerade abseits der modischen Übersteigerungen des Kunstbetriebs.
Wie schon für die vergangenen Ausstellungen spielt auch für die experimentelle 14 neben der Skulptur vor allem die Malerei eine zentrale Rolle. Titus Koch versammelt unterschiedliche Positionen aus nah und fern, wobei viele der diesjährigen Künstlerinnen und Künstler bereits schon einmal teilgenommen haben. Dies ermöglicht dem Publikum, die Entwicklung ihrer Arbeit über die Jahre mitzuverfolgen. Ich möchte nur drei verschiedene malerische Ansätze der experimentelle 14 herausgreifen, um beispielhaft drei Möglichkeiten heutiger Malerei aufzuzeigen. Jede Position steht zugleich für einen der drei Ausstellungsorte der experimentelle 14, die 2006 erstmals nicht nur zeitgleich in Deutschland und der Schweiz, sondern auch in Österreich stattfindet.

KriegDieter Krieg (1937 geboren in Lindau, gestorben 2005 in Quadrath-Ichendorf) zählt unbestritten zu den grossen Protagonisten deutscher Malerei der letzten Jahrzehnte. Er blieb ein einflussreicher Einzelgänger und kann keiner Schule oder Strömung zugeordnet werden. In seinen zum Teil riesigen Formaten zielt Dieter Krieg oft lakonisch und mit schwarzem Humor auf die unterschwellige Ausbreitung und lastende Präsenz alltäglicher Banalität. Ob in seinen Spiegeleiern, Blumentöpfen oder Wortbildern: Der Alltag wird in seinen sturen Gewohnheiten und hohlen Floskeln, in seinen Abnutzungserscheinungen und schwächlichen Gebrechlichkeiten erlebbar, nicht nur erlebbar, sondern er spült uns Betrachtende durch die teilweise enorme Vergrösserung der Objekte und die malerische Dynamisierung geradezu mit sich hinfort. Dieter Krieg allein als einen Vertreter der Heftigen Malerei der achtziger Jahre zu verstehen, wäre ein Missverständnis. Seine Malerei ist ungleich komplexer: Ihr liegen luzide Analysen der alltäglichen Verhältnisse zugrunde und die Fähigkeit des Künstlers, diese in eine mitreissende malerische Sprache zu verwandeln, die niemanden gleichgültig lässt. Dieter Krieg polarisiert: Man mag ihn, oder man fühlt sich von seiner Dingnähe abgestossen. Doch gerade diese bisweilen tatsächlich unangenehme Nähe zu den Objekten und die geradezu theatralische Besichtigung des damit gelegentlich verbundenen Ekels führt uns zur Erfahrung, dass der Künstler genau darin ein ungeteiltes Vertrauen zu den Dingen, geradezu eine Art Bewunderung für sie formuliert und sie uns in seinen Bildern mitzuteilen versteht. Dieter Krieg gräbt den Garten des Alltags schonungslos um, auf dass neue, erstaunliche Gebilde wachsen, hässlich und schön zugleich.

LemmerzEinen völlig anderen künstlerischen Ansatz verfolgt Petra Lemmerz (geb. 1957 in Karlsruhe, lebt in Düsseldorf). Im Zentrum ihrer Malerei der letzten Jahre steht zunächst die Frage nach der stofflichen Erscheinung des Malerischen, nach den materiellen Grundlagen und Rahmenbedingungen. Ihre malerische Grundlagenforschung führt zu Bildern, die wesentlich von der Art und Weise des farblichen Erscheinens der Pigmente leben. Dabei führt die Rezeption zu einem kontemplativen Verhalten: Im Zuge der Betrachtung tauchen wir ein in die unterschiedlich dichte Oberfläche der Bilder. Der einerseits weiche, nebelgleiche Charakter der Farboberflächen, die andererseits explosiv aufgebrochenen, grobkörnigen Strukturen lassen neue Erscheinungsformen des Malerischen aufflackern, jenseits einer traditionellen Bearbeitung mit Pinsel oder Spachtel. Darin äussert sich nicht nur eine visuelle, sondern auch eine strukturelle Nähe zu den Urkräften der Natur: Lava, Vulkanausbrüche, kochender Schlamm, Dämpfe, farbliche Ablagerungen, all dies schwingt in den Bildern von Petra Lemmerz mit, ohne dass sie ein abbildendes Verfahren wählt. Doch der Fokus dieser Bilder ist nicht nur auf die Erde gerichtet, sondern zugleich auch in den Kosmos, auf die Milchstrasse, in ferne Galaxien und Sternennebel. In den Bildern scheinen die kosmischen Kräfte denen des Erdinneren verwandt. Ihre rätselhaften Strukturen und Wirkungen klingen an, ohne dass sie abbildend dargestellt wären. Die malerische Grundlagenforschung steht somit nicht isoliert für sich, sondern tritt in eine offene Verbindung zu Naturkräften, die unsere Existenz mehr beeinflussen, als wir im Allgemeinen wahrnehmen.

SchmidtWerner Schmidt (1953 geb. in Oppenau, lebt in Oberkirch) verfolgt seit vielen Jahren eine reduzierte, fast asketische Form der Malerei. Seine malerischen Oberflächen wirken kühl und trocken. Sie laufen häufig an ihren Rändern in gestischen, deutlich sichtbaren Pinselstrichen aus. Die aufgebrochenen Bildränder stehen in Kontrast zur geschlossenen Form der Fläche. Zwischen Rändern und Fläche baut sich der Spannungsbogen dieser Arbeiten auf und versetzt unseren Blick in permanente Bewegung. Wo Petra Lemmerz die Betrachtenden in orchestral instrumentierte Buntfarbigkeit eintauchen lässt, übt Werner Schmidt ausschliessende Strenge auf nur wenige, sich zurücknehmende Farbvaleurs, auf eine schlichte, einfache Form. So ganz auf sich bezogen sind seine Bilder jedoch nicht, denn in den feinen, farblichen Differenzen lassen sich hier und da Anklänge an Wolkengebilde und Wetterstimmungen ausmachen. Nicht dass Werner Schmidt das Wetter abbilden würde, doch die Bildanlage lässt gelegentlich an Stimmungen des Wetters denken. In diesem Punkt sind die Arbeiten von Petra Lemmerz und Werner Schmidt durchaus vergleichbar: Natur wird nicht äusserlich abgebildet, streift jedoch ahnungshaft die Bilder. Wo allerdings Dieter Krieg das Schöne und Schwache von Objekten oder verbalen Formulierungen der alltäglichen Welt bemisst und sich mit ihnen auseinander setzt, lenkt Werner Schmidt unsere Aufmerksamkeit auf eine fast philosophische Ebene jenseits der Dinge: Im Wenigen lässt er die Vielfalt und Komplexität der Welt anklingen. Doch die Härte seiner malerischen Flächen, der bewusste Verzicht auf Überwältigung und die bisweilen sogar knochige Spröde seiner Bilder erweisen sich überraschend als Möglichkeiten, in kontemplativer Zuwendung über den Reichtum des scheinbar Geringen nachzudenken.

So unterschiedlich die drei skizzierten malerischen Positionen auch sein mögen: Dieter Krieg, Petra Lemmerz und Werner Schmidt zeichnen sich durch ihre konsequente, von modischen Tendenzen der jeweiligen Zeit unabhängige Arbeit aus. Für sie ist nicht der Zeitgeist im Sinne eines schnellen kommerziellen Erfolgs wichtig, sondern die immer wieder neu gestellte Frage nach dem, was Malerei heute an Wirklichkeitserfahrung glaubhaft und authentisch zum Ausdruck bringen kann.

Weiteres zur Experimentellen 14

Worte zur Experimentellen 14
Ohne Furcht vor Malerei von Dr. Markus Stegmann
Vorwort zur EXPERIMENTELLEN 14 von Michael Klinger
Vorwort zur EXPERIMENTELLEN 14 von Frank Hämmerle
Die Thaynger freuen sich auf die EXPERIMENTELLE 14 von Bernhard Müller
Vorwort zur EXPERIMENTELLEN 14 von Engelbert Wieser

Rundgang Randegg, Deutschland
Teilnehmende Künstler